1001 Ideen aus dem Schulranzen und dem Büroalltag: Diana Liebreich hat mit Chrompulver experimentiert. ©Jadwiga Galties Alles auf Chrom

Alles auf Chrom

Der neue Chromlack von Wörwag gilt auf dem Markt als das Maß der Dinge. Doch wie entsteht so ein technischer Vorsprung? Ein Blick hinter die Kulissen der Entwicklungsabteilung zeigt, dass Erfindungsgeist viel mit Neugier und Leidenschaft zu tun hat.

Sogar der Locher wird bei der Schönheits-OP berücksichtigt. Was in Michael Fiedlers Reichweite steht, strahlt in Chrom.

Darum funkeln und spiegeln hier Schalen, Modellautos, Stuhlbeine, Fahrradrahmen, Heizkörper, als blicke man in die Felgen eines Showcars. Doch wir befinden uns im Büro der Pulverlack-Entwickler. Gleich nebenan ist das Labor, in dem Fiedler und sein Team ihren neuen Chromlack an fast allem testen, was ihnen in die Hände fällt. „Wir machen das nicht zum Spaß“, betont Fiedler, „sondern um den Effekt auf verschiedenen Materialien zu vergleichen.“

Nicht ohne Stolz zeigt er zwei Halbkugeln, die neben dem blitzenden Locher auf seinem Schreibtisch stehen. Eine wirkt eher matt. „Der alte Lack mit Chromglanz“, erklärt der Entwicklungsleiter.

Die Halbkugel, die mit dem neuen Lack beschichtet ist, spiegelt fast so schön wie echtes Chrom. Kein Konkurrent, ist Fiedler sicher, biete so etwas in vergleichbarer Qualität. Beziffern lasse sich das aber nicht: „Es gibt keine Skala, auf der Chromeffekte gemessen werden.“ Mit blumigen Worten über fantastisches Funkeln kommt man bei der Kundenakquise allerdings auch nicht weit. Also müssen Muster her, die den Effekt zeigen. Muster von allem Möglichen. Von Dingen, wie sie überall im Büro der Lackentwickler herumstehen.

„Es gibt keine Skala, auf der Chromeffekte gemessen werden“, Michael Fiedler.

Möglichkeiten ausgereizt

Wie so oft bei Wörwag entstand die Produktidee im Gespräch unter Kollegen. Der zehn Jahre alte Vorgänger des Lacks hatte unter den Entwicklern kaum noch Fans. Alexander Kiraly aus Fiedlers Team nahm sich des Themas begeistert an. „Wir wollten uns vom Wettbewerb abheben und dachten: Technisch ist da noch Luft nach oben“, erinnert er sich. 2013 präsentierten die beiden den neuen Lack der Geschäftsführung. Die gab grünes Licht. Fiedler: „Wir haben die Technik jetzt ausgereizt. Mehr Chromeffekt im Lack geht nicht.“

Das Prinzip klingt simpel: Massig Aluminiumpigmente ins Lackpulver geben, die beim Einbrennen an die Oberfläche schwimmen und den Spiegelglanz erzeugen. Doch die Tücke steckt auch hier im Detail. Zum Beweis fährt Fiedler mit dem Daumen über eine Probe im Spielkartenformat: „Hier wird es knifflig. Die Fingerabdrücke bekommt man nicht mehr weg.“ In der Tat, je eifriger man wischt, desto schlimmer werden die Schlieren. Darum erhält der Chromlack am Ende eine klare Schutzschicht. Der neue Klarlack ist dünner und brillanter als der alte, verläuft besser und hält Schmutz ebenso gut ab.

„Wir experimentieren hier mit rund zweihundert Rohstoffen“, so Fiedler.

Mit Hochspannung aufs Blech

Den Unterschied demonstriert Fiedler an einem Heizkörper. Darin sieht er ein Haupteinsatzfeld des Lacks, auch wenn den Möglichkeiten kaum Grenzen gesetzt sind. Sie reichen von Bürogeräten wie dem Locher auf Fiedlers Schreibtisch über Fahrräder bis zum Innenraum von Luxuskarossen. Vielversprechend klingt auch die Verchromung von Schulmöbeln.

„Unser Chromlack könnte Klassenzimmer aufpeppen. Aus unserer Sicht einer der interessantesten Märkte“, findet Fiedler – davon überzeugt, der ganze Entwicklungsaufwand werde sich lohnen. Der Chefentwickler führt durch die Laborräume. In einem stapeln sich unzählige Dosen. „Wir experimentieren hier mit rund zweihundert Rohstoffen“, so Fiedler. Damit der Lack beim Auftragen einen homogenen Farbeindruck ergibt, werden seine Zutaten nicht in Pulverform gemischt, sondern zunächst verflüssigt, verschmolzen und zu einer Platte gewalzt.

Nach dem Erstarren wird diese zu Pulver mit einer Korngröße im zweistelligen Mikrometer-Bereich gemahlen. Fiedler steht am „Schießstand“, bewaffnet mit einer Pulverpistole. Die Spitze der Düse, mit der er den Chromlack gleich auf ein Blech sprühen wird, ist mit mehreren Zehntausend Volt aufgeladen. Die Luft vibriert, der Lack legt sich aufs Blech. Beim Einbrennen wandern die Aluminiumpigmente an die Oberfläche. Zufrieden lächelt Fiedler in sein Spiegelbild.

Chromlack, getestet auf einer Coca-Cola-Flasche

Chromlack, getestet auf einer Coca-Cola-Flasche

Michael Fiedler

arbeitet seit 2000 bei Wörwag. Er hat in Reutlingen Chemie studiert, ist Experte für Pulverlacke, deren Entwicklung er seit 2010 leitet. „Besonders reizen mich Projekte in der Automobilbranche“, verrät der 45-Jährige. „Daher rührt auch meine Begeisterung für Chromeffekte.“

Text: Sascha Maier

Foto: Jadwiga Galties