Wie verschlägt es einen Kanadier in den Mittleren Westen der USA?
Wörwag hat mich angesprochen und sofort überzeugt – mit geplanten Investitionen und dem eingeschlagenen Wachstumskurs. Die Aufgabe hat mich gereizt. Außerdem passte der Wechsel gut in meine Lebensplanung. Davor war ich fast zwanzig Jahre in Europa. Wir wollten als Familie nach Nordamerika zurück. Hier leben auch meine beiden Kinder und meine Eltern.
Sie kamen von BASF zu Wörwag. Fiel Ihnen der Wechsel schwer?
Nach so langer Zeit war der Abschied natürlich nicht leicht. Aber ich wurde bei Wörwag in Stuttgart und in Lafayette sehr herzlich empfangen. Ich habe schnell gemerkt, dass die Chemie stimmt. In einem Großkonzern ist man nur für ein Ressort zuständig. Bei Wörwag hat die Verantwortung viel mehr Facetten.
Aber an den ersten Arbeitstagen in Lafayette fielen Sie auf …
Sie spielen auf meine Kleidung an? Am dritten Tag fragte mich unsere Personalleiterin Connie Hollis, ob ich immer Krawatte trage. Im Werk ist der Umgang eher locker. Wir verstehen uns als Team. Deshalb bleibt die Krawatte seitdem im Schrank.
Hatten Sie Zeit, sich einzugewöhnen?
Kaum. Anfang des Jahres machte uns das Wetter große Probleme. Ich stieg sozusagen im Minus ein. Es war der kälteste Winter seit langem, bis dreißig Grad unter null mit extrem viel Schnee. Rohstoffe trafen zu spät im Werk ein. Für alles war es zu kalt, auch für die Produktion. An manchen Tagen konnten wir die Kunden nicht beliefern. Außerdem mussten wir improvisieren, weil damals viele Stellen vakant waren.
Wie haben Sie die Situation gemeistert?
Allen Komplikationen zum Trotz war schnell klar, dass wir es schafften. Wir haben hier ein tolles Team. Was ansteht, wird erledigt. Alle packen an. Viele halfen zum Beispiel bei der Auslieferung, obwohl sie eigentlich für andere Aufgaben zuständig sind. Das hat mich positiv überrascht. Es zeigte: Wörwag ist anders.
Wie kommt das?
Es ist eine Frage des Charakters. Die Kollegen stehen loyal zur Firma und identifizieren sich mit ihrer Arbeit. Das rührt sicher daher, dass alle spüren, ihre Leistung wird geschätzt und honoriert.
Liegt das daran, dass Wörwag ein Familienunternehmen ist?
Das spielt wohl auch eine Rolle. Wir sind keine typisch amerikanische Firma. Die Mitarbeiter sind nicht nur eine Nummer. Alles läuft hier sehr persönlich ab. Sympathisch eben. Bei uns richtet sich die Stimmung nicht nach dem Aktienkurs. Wir planen langfristig.
Wie erreichen Sie Ihre angestrebten Ziele?
Wir folgen den europäischen Automobilbauern, die es zunehmend in die USA zieht. Gefordert werden deutlich größere Mengen, modernste Technik, höchste Qualität und umfassende Kundenbetreuung. Um dies alles zu garantieren, investieren wir kräftig.
Ist es schwierig, dieselbe Qualität zu bieten wie in Europa?
Nein. Das ist unsere Philosophie: Die Technik, die wir in den USA verkaufen, ist identisch mit der in Deutschland. Die Rezepte für den amerikanischen Markt entstehen in Zuffenhausen, dort sitzen Forschung und Entwicklung. Für die Qualität ist entscheidend, dass der Wissenstransfer funktioniert. Neben den Rezepten sind dabei die Prozesse der Schlüssel zum Erfolg.
Wie relevant ist der Austausch zwischen den Kollegen im Ausland?
Der Austausch ist sehr wichtig. Immer wieder sind amerikanische Kollegen längere Zeit zur Schulung in Deutschland. Oder Deutsche kommen zur Unterstützung in die USA. Dass beispielsweise Angela Tschierswitz gut zwei Jahre hier arbeitet, ist für uns ein Glücksfall.
Worauf liegt in den USA der Fokus?
Wir werden unser Denken und Handeln noch stärker am Kunden ausrichten. Daher stellen wir weitere Betreuer ein. Wir dürfen nicht darauf warten, dass der Kunde zu uns kommt, sondern müssen die Initiative ergreifen. Wenn europäische Hersteller in die USA expandieren, stehen wir bereit. Das bezieht sich auch auf die dann geforderten Mengen.
Unterscheidet sich der US-Markt vom europäischen?
Eigentlich nicht, abgesehen vielleicht von der Logistik. Das hängt damit zusammen, dass wir überwiegend für europäische Hersteller arbeiten. Mit ihnen sprechen wir über Kalenderwochen und Celsius-Temperaturen.
Welche Rolle spielt bei der Auftragsvergabe die Technik?
Eine Hauptrolle. Daher müssen wir möglichst viele Verfahren beherrschen. Beim integrierten Lackierprozess gelten wir noch als Newcomer, doch wir haben ihn im Griff. Bei der Umstellung von organisch gelösten Farben auf Hydrobasislacke sind wir Vorreiter. Beides wird immer wichtiger, wenn europäische Hersteller Aufträge vergeben. Darauf sind wir bestens vorbereitet.
Mike Grandy
ist seit Februar 2014 President bei Worwag Coatings LLC, einer Wörwag- Tochter in den USA. Zuvor arbeitete der aus Toronto stammende Kanadier fast zwanzig Jahre bei BASF in Europa. Der diplomierte Chemiker ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Text: Michael Thiem
Foto: Laurent Burst