Anmacherei
Daniel Schuhmacher (links) und Ruben Amaral stellen mit dem Dissolver aus Pigmenten und Schüttstoffen Tönpasten her, die entweder gleich in den Versand gehen oder noch weiter aufbereitet werden.
Lackproduktion ist wie Kuchenbacken. Wenn das Rezept passt, die Zutaten stimmen und alle den Prozess einhalten, gelingt das Werk. Aber wehe, einer tanzt aus der Reihe.
Nach Auftragseingabe und Disposition folgt als erster materieller Fabrikationsschritt das Dispergieren. Das dauert mehrere Stunden. Schuhmacher und Amaral überwachen Temperatur und Korngröße, die je nach Rezept zwischen 50 und 300 Mikrometern liegt. Timo Dorigo, Leiter der Nasslackproduktion, weiß, wie wichtig die laufende Qualitätskontrolle ist: „Auf Störungen müssen wir sofort reagieren.“
Da fast jedes Erzeugnis einen etwas anderen Weg durch den Herstellungsprozess nehme, sei die Kommunikation zwischen den Mitwirkenden äußerst wichtig. „Bei 3000 bis 5000 aktiven Rezepten und vielen übergreifenden Prozessen müssen wir den Stand und die Abläufe der Produktion immer wieder neu bewerten.“
Reibsaal
Christian Wiesing misst mit dem Grindometer die Kornfeinheit unter anderem der Halbfabrikate. Danach entscheidet er, ob das Erzeugnis den Spezifikationen genügt und weiterverarbeitet werden kann.
Im Alltag hilft dabei ein straffes Shopfloor-Management.
Jeden Morgen treffen sich die Abteilungsleiter zur „Lackvisite“, bei der sie gemeinsam die Produktionsschritte durchgehen. „Wenn wir eingreifen müssen, sehen wir das sofort. Zudem sind alle informiert und wissen, wo es klemmt“, so Dorigo, dem hier der Fokus wichtig ist: „Man spricht zuerst über Dinge, die nicht funktionieren. Doch ich höre genauso gerne Erfolgsgeschichten.“
Die erfreulichste: Dank besserer Kommunikation steigt die Produktivität deutlich. Überdies kann Wörwag die Auslastung der Fabrik zuverlässig planen. Im Reibsaal verkürzen neue Maschinen die Laufzeiten der Perlmühlen.
Durchhaltevermögen ist aber nach wie vor gefragt. Denn bei manchen Produkten dauert es gut hundert Stunden, das Mahlgut auf die gewünschte Korngröße zu bringen. Christian Wiesing prüft das regelmäßig per Grindometer. Das Gerät, das aussieht wie ein dickes Lineal aus Edelstahl, misst die Kornfeinheit. Dazu werden einige Lacktropfen in das tiefe Ende einer eingefrästen, ansteigenden Rille gegeben. Deren Tiefe geht von 200 Mikrometern linear gegen null.
Mit einem Rakel zieht Wiesing die Farbe in Richtung null ab und beobachtet, wo sich im Lackfilm die ersten Schlieren zeigen. Dort kann er an einer Skala den Mikrometerwert der Lackkörnung ablesen. „Außerdem müssen wir beim Mahlen auf die Temperatur achten“, fügt Wiesing hinzu. „Über siebzig Grad Celsius darf sie nicht steigen, sonst geht der Lack kaputt.“
Mischbank
Roland Cuno erhält die Aufträge direkt aus dem Vertrieb. An der Mischbank stellt er Industrielacke ein, nimmt Proben, tönt, füllt das Produkt ab und macht es versandfertig.
An der Mischbank
Danach werden die Halbfabrikate und Tönpasten entweder zur Weiterverarbeitung zwischengelagert oder bereits abgefüllt und an Kunden geliefert. Roland Cuno macht Industrielacke versandfertig. Über die Mischbank zapft er Rohstoffe aus Tanks mit fünf bis 500 Kilogramm Inhalt. „Ich stelle das Rezept ein, mische, lackiere eine Testtafel, prüfe das Ergebnis und fülle den fertigen Lack ab“, erklärt Cuno. Gerade stellt er ein Ultramarinblau zusammen. „Ich freue mich, wenn mal andere Farbtöne gefragt sind als Silber, Schwarz oder Grau“, schmunzelt er.
Anleitung
Sampson Apler (links) und Karim Abachi brauchen nicht nur viele Waagen, sondern jede Menge Erfahrung. Sie führen die Rezepte aus, wiegen die Zutaten ab und mischen sie zusammen.
Was bei Cuno auf Knopfdruck der Computer regelt, erfordert in der Basislackproduktion noch Handarbeit.
Sampson Aplers höchster Trumpf ist seine Erfahrung. Mit einer großen Schaufel wiegt er Effektpigmente für Valenciaorange ab. Fünf Zutaten listet das Rezept auf, bei anderen Farben können es bis zu zwanzig sein. Die Angaben stehen jeweils auf einem Fertigungsauftrag im A4-Format, der den Produktionsprozess begleitet. „Wir müssen exakt arbeiten“, betont Apler. Das heißt: Die Zutaten dieses Basislacks werden teilweise bis auf wenige Gramm genau abgewogen. Das entspricht der Skalierung einer Briefwaage. Ein Scansystem hilft den Kollegen, bei der Zusammenstellung an alle Rohstoffe zu denken.
Je nach Produkt fallen bis zu 20 Arbeitsgänge an. An einem typischen Werktag verlassen hundert Tonnen Primer, Basis-, Deck- und Klarlacke einschließlich Halbfabrikaten das Werk – in Abfüllgebinden zwischen einem Kilogramm und einer Tonne. Zum Jahresende wird das Stammwerk in Stuttgart um 2000 Quadratmeter erweitert. „Die Wege werden kürzer“, sagt Daniela Off, Produktionsleiterin Basislacke. Und Dorigo ergänzt: „Wir optimieren den Materialfluss, bekommen bessere Fahrwege und genügend Pufferzonen.“
Knackpunkt ist die Einstellung der Farbtöne. Doch nur wenige haben die „Lizenz zum Tönen“. „Das ist der spannendste Arbeitsschritt“, findet Off. „Den muss man beherrschen. Nicht jeder kann so etwas.“ Einer, der an dieser Stelle seit zwanzig Jahren die richtigen Entscheidungen trifft, ist Michael Körper. „Am schwierigsten ist es, sich auf die Anforderungen an jeden einzelnen Lack einzustellen“, bemerkt er. Nie könne man behaupten, alle Geheimnisse des Tönens zu kennen, weil sich die Wünsche der Kunden ständig änderten.
Fast zwei Drittel seiner Arbeitszeit sitzt Körper am Computer. Anhand der Messwerte, der Vorgaben der Kunden und seiner Erfahrung entwickelt er die exakte Tönstrategie. Bei der Beurteilung hilft ihm der von Wörwag entwickelte, ständig optimierte Farbtonnavigator, eine digitale Tönkarte. Jeder Fertigungsauftrag wird erfasst.
Die Datenbank dokumentiert Körpers Arbeit für künftige Chargen. Bewährte Lackrezepte sind für ihn eine ebenso wichtige Entscheidungsgrundlage wie Rückmeldungen aus dem Qualitätszentrum oder modifizierte Applikationsvorgaben der Kunden. „Man lernt immer wieder dazu“, sagt Körper. „Tönen ist Teamarbeit.“ Der Vorgang kann mehrere Tage dauern, da es nicht allein um die richtige Farbe geht. Glanz, Sondereffekte, Schichtdicken, Materialeigenschaften werden ebenfalls berücksichtigt.
Lackierzentrum
Juliana Donner treibt es ziemlich bunt. Zur Qualitätskontrolle lackiert sie Testtafeln in allen Farbtönen der Produktion. Dabei simuliert sie möglichst exakt den Einsatz beim Kunden.
Was Körper in der Theorie austüftelt, setzen seine Zuarbeiter um.
Wiederholt gehen Farbproben ins Lackierzentrum. In einer möglichst exakten Simulation der großseriellen Anwendung des Lacks beim Kunden werden 10 mal 14,8 Zentimeter große Farbtontafeln beschichtet. Juliana Donner ist eine der nur drei Frauen in der Produktion bei Wörwag.
„Mich hat von Anfang an begeistert, was man mit Lacken alles machen kann“, erzählt die gelernte Fahrzeuglackiererin und denkt dabei unter anderem an die zahlreichen Metallicfarben mit Flopeffekt.
Zur Probebeschichtung gießt sie einen Becher „Electric Green“ in den Lackierapparat, platziert eine Kunststoffplatte als Substrat und startet den Vorgang. Nach der hell- oder schiefergrauen Grundierung werden maximal zwei Lackschichten aufgetragen.
Danach landet die Tafel auf Körpers Schreibtisch. Und die Prozedur beginnt von Neuem: tönen, lackieren, prüfen. Bis alles passt. Wieder dreht sich alles im Kreis. Am Ende entsteht wie von Meisterhand der perfekte Farbton. „Blaumetallic und Orange sind besonders heikel“, verrät Produktionsleiterin Off, „zumal uns die Hersteller immer geringere Toleranzen zugestehen.“
Tönen
Michael Körper braucht ein besonders gutes Auge. Er hat die anspruchsvolle Aufgabe, die Farbwünsche der Kunden zu erfüllen. Manchmal dauert das zwei Wochen – oder noch länger.
Qualitätskontrolle
Ist Körper zufrieden, geht jede Charge, die die Produktion verlässt, zur finalen Qualitätskontrolle ins Lacklabor an Dirk Langenbahn. Auf dem umfangreichen Prüfplan steht die Kontrolle physikalischer Eigenschaften wie Festkörperanteil, pH-Wert und Fließverhalten. Langenbahn untersucht die Oberfläche einer weiteren Testtafel auf Krater, Läufer, Stippen, Nadelstiche. Dazu erzeugt er einen Lackfilm mit linear abnehmender Schichtdicke, kurz Schichtdickenkeil genannt.
Qualitätszentrum
Dirk Langenbahn prüft sämtliche Chargen an Basislack aus der regulären Produktion. Die Keillackierung der Testtafel hilft ihm, die Qualität des Lacks zu beurteilen.
Last but not least
Auch im letzten Schritt muss alles klappen. In der Abfüllerei ist Sauberkeit das oberste Gebot. Branislav Vejin achtet genau darauf: „Zu jedem Produkt gibt es spezielle Siebvorschriften.“ Noch einmal werden hier Stichproben zur Qualitätskontrolle gezogen, bei großen Chargen von 2,5 Tonnen bis zu drei Proben. Nach dem Abfüllen schließt Vejin den Zehn-Kilogramm-Hobbock, einen Versandeimer mit zwei Griffen an der Außenwand, klebt sorgfältig das Etikett auf und stellt ihn auf die Palette. Fertig.
Abfüllerei
Branislav Vejin achtet bei der Abfüllung penibel auf Sauberkeit. Auch im letzten Arbeitsschritt muss alles stimmen. Pro Tag macht Vejin 300 bis 400 Behälter versandfertig.
Text: Michael Thiem
Fotos: Frederik Laux
Illustrationen: cybertakel