Haben den Bogen raus: Lackingenieurin Nicole Hörner und der angehende Lacklaborant Felix Bischoff mit den einzelnen Zutaten, die zusammengemischt die gelbgrüne Fahrradfarbe ergeben. ©Frederik Laux Einmal Gelbgrün mit Perlglanz, bitte

Einmal Gelbgrün mit Perlglanz, bitte

Die Wunschfarbe für Felix Bischoffs neues Fahrrad gibt es noch nicht. Wie gut, dass die Wörwag-Designer nur ein paar Etagen über der Abteilung des Auszubildenden arbeiten.

Nicole Hörner und Felix Bischoff knöpfen ihre Laborkittel zu, ziehen Schutzbrille und Handschuhe an. „Die Brille ist am wichtigsten. Beim Hantieren mit Flüssigkeiten oder Pulvern geht leicht etwas ins Auge“, erklärt die Lackingenieurin lächelnd. Vor den beiden stehen mehrere Behälter mit Zutaten, wie Hörner sie nennt, sowie ein weißer Eimer, in dem sie Farbe mischen wollen. „So soll mein Fahrrad aussehen!“ Der angehende Lacklaborant hält das Albumcover seiner Lieblingsband hoch, das eine gelbgrüne Illustration zeigt.

Ähnlich läuft es ab, wenn Autodesigner bei Wörwag eine Farbe in Auftrag geben. Bilder aus der Möbel- und Designwelt, aber auch Kosmetikprodukte dienen als Vorlagen.

Hörner und ihr Chef Herbert Kost, der die Abteilung Entwicklung Design und Pigmente leitet, prüfen die Vorgaben auf Machbarkeit. Ein Kriterium sind die gewünschten Effekte: Sollen sie grob ausfallen oder fein?

Chefentwickler Kost erkennt sofort, ob sich die Vorstellung des Designers im Lack umsetzen lässt. Der gelernte Chemielaborant ist seit 40 Jahren im Geschäft: „Wir müssen zunächst klären, welche Pigmente infrage kommen. Ein Blick ins Archiv hilft – vielleicht haben wir einen ähnlichen Farbton schon entwickelt.“ Dann geht es ins Labor.

Pigmente für den Glanz

Bischoff hat inzwischen die Illustration zur Seite gelegt. Er wiegt die erste Zutat, ein Halbfabrikat, ab und gibt sie in den Mischeimer. Der Basislack besteht im Wesentlichen aus Bindemittel. Hinzu kommen Verdicker, damit sich beim Lackieren keine Nasen bilden, Wasser, Lösemittel und Pigmentpaste. Aus einem Schrank holt Hörner zwei Dosen.

Eine enthält Aluminiumpigmente, die andere Perlglanz. Dieser sieht aus wie Mehl und erzeugt einen gelblichen Schimmer, wie das Verreiben auf dem Handrücken beweist. „Solche Pigmente kommen auch in Kosmetika wie Lidschatten zum Einsatz“, erklärt sie. Dann wird gemischt. Der elektrische Rührer, der aussieht wie eine Mischung aus Küchenmaschine und stationärer Bohrmaschine, erwacht mit leisem Surren zum Leben. Nach Zugabe der Pigmente entsteht allmählich der gewünschte Farbton. Und: Bei all den Lackbestandteilen, die gerade in Verwendung sind, riecht man kaum etwas.

Im rechten Licht betrachtet

Die Entwickler kreieren auch selbst Farben. Einmal im Jahr stellen sie diese Autoherstellern anhand lackierter Bleche vor. Ein Knick in der Mitte dient dazu, den Effekt an den Fahrzeugkonturen zu veranschaulichen. Um einzuschätzen, wie sich der Farbton mit dem Licht ändert, gibt es das Lichtkabinett – einen separaten Raum mit speziellen Lampen. Sie simulieren unterschiedliche Lichtverhältnisse vom Morgengrauen bis zum Abendrot.

Übrigens: Nicht nur der Farbton soll stimmen. Auch muss der Lack physikalisch so beschaffen sein, dass er in der Lackieranlage einwandfrei funktioniert. Deshalb mischt Wörwag ihn nach Vorgabe des Verwenders je nach Anlagentyp anders ab. Hat sich ein Automobilhersteller für einen Lack entschieden, muss dieser noch in aufwendigen, teils langwierigen Tests zeigen, dass er die Spezifikationen erfüllt.

Nach gut einer Stunde ist der Lack für Bischoffs Fahrrad fertig. Fehlt nur noch die Probe auf einem Blech. Nach dem Trocknen zieht der Azubi es aus dem Ofen, trägt es zum Lichtkabinett und begutachtet dort den wechselnden Farbeindruck. Noch ein Blick auf die Wirkung bei Tageslicht am Fenster: „Perfekt!“ Gelbgrün mit Perlglanz. Genau so wollte er es haben.

„Ein Blick ins Archiv hilft – vielleicht haben wir einen ähnlichen Farbton schon entwickelt“, Herbert Kost.

Gestatten, Ihr neuer Autolack

Als Zulieferer der Automobilindustrie entwickelt Wörwag unter anderem Lacke für ganze Karosserien. Die Designer und Pigmentspezialisten entwerfen Farben nicht nur im Kundenauftrag, sondern auch nach eigenen Ideen. Letztere stellen sie ausgewählten Interessenten einmal im Jahr vor. Von der Inspiration zur Präsentation der zehn bis zwölf Vorschläge dauert es im Schnitt sechs Monate. Die Farben enthalten jeweils bis zu drei Effektpigmente sowie drei bis fünf Buntpigmente. Insgesamt fließen bis zu fünfzehn Zutaten ein. Im Entwicklungslabor mischt Wörwag Mengen bis 25 Kilogramm. Die reguläre Produktion liefert zwischen 100 Kilogramm und 20 Tonnen.

Text: Thorsten Schönfeld

Foto: Frederik Laux