Verschlungene Pfade

Verschlungene Pfade

Wozu braucht eine Lackfabrik eine Rechtsabteilung? Jörg Glocker und sein Team achten darauf, dass Verträge juristisch korrekt sind, und schützen Wörwag vor unliebsamen Überraschungen.

Kleingedrucktes überliest man leicht. Wir alle wissen das, blenden das Problem aber im Alltag meistens aus. Wer studiert schon alle Seiten der Geschäftsbedingungen, ehe er beispielsweise einen Versicherungsvertrag unterschreibt?

Privat kann man das Risiko vielleicht überschauen, im Geschäftsleben sollte man vorsichtiger sein. Bei Wörwag sorgen Jörg Glocker und sein Team seit November 2015 dafür, dass die Verträge wasserdicht sind und im Idealfall gar nicht erst gebraucht werden, weil das Geschäft auch ohne Rückgriff darauf glatt über die Bühne ging.

Auch wenn dies die Regel darstellt, bleibt die Rechtsabteilung wichtig. Warum, das erläutert Glocker an Zahlen. In 30 Jahren, also von 1982 bis 2012 waren bei nur vierhundert Verträgen einzelne Dokumente juristisch zu prüfen und einzuordnen. Im Schnitt war das ein Vertrag pro Monat. Seither schießt die Zahl nach oben.

Allein in den letzten fünf Jahren hat Glocker 1.500 Dokumente gezählt, die vor der Unterschrift einer eingehenden Rechtsprüfung bedurften. „Früher konnte man Verträge noch per Handschlag schließen“, erinnert sich der 49-Jährige. „Aber das ist definitiv vorbei.“

Zielstrebig: Jörg Glocker behält im Paragrafendickicht den Überblick. Zum Abschalten radelt er im Sommer über die Alpen.

Die zunehmende juristische Komplexität rührt auch von der Geschäftsentwicklung her.

Belieferte Wörwag zuvor zahlreiche Kleinbetriebe aller möglichen Industriezweige, so hat sich das Geschäft mittlerweile zu den Autobauern und Zulieferern verschoben. Viele davon sind internationale Großunternehmen, die im Jahr mehrere tausend Tonnen Lack ordern.

Zwei dieser Firmen bestellen jährlich für dreißig Millionen Euro. Und so groß die Mengen, so komplex sind die Verträge. „Diese Kunden möchten selbst die kleinste Kleinigkeit geregelt wissen“, sagt Glocker, der schon mal Vertragswerke mit dreihundert Seiten auf den Tisch bekommt.

„Es gibt für alles eine Lösung. Das Fahnden danach kann sehr viel Spaß machen.“

Dreihundert Seiten. Und jede birgt Stolperfallen, die es zu umgehen gilt.

Neben einem allgemeinen Verhaltenskodex wird die Zusammenarbeit bis ins letzte Detail festgeschrieben. Glocker: „Wir stellen sicher, dass Wörwag nur Dokumente unterzeichnet, deren Inhalt die Firma liefern kann. Wenn wir auf ein Problem beim Kunden binnen einer Stunde reagieren müssen, obwohl allein die Anreise vier Stunden dauert, klappt das natürlich nicht.“

In einem anderen Fall verlangte der Kontrahent 64 Monate Gewährleistung auf den Lack, deutlich mehr als üblich.

Achtzig Prozent seiner Arbeitszeit verbringt der Leiter des Vertriebsinnendienstes mit der Prüfung von Verträgen. Manche zieren danach mehr Anmerkungen als Absätze, andere gehen nahezu unkommentiert durch. Glocker zur Seite stehen die Volljuristin und Syndika Dr. Isabel Otterbach sowie die Diplom-Kauffrau Charlotte Coy.

Für seine komplexe Aufgabe hat sich Glocker auf­wendig qualifiziert. Per Fernstudium spezialisierte sich der Diplom-Ökonom von 2012 bis 2014 zum „Master of Laws“ (LL. M.) im Wirtschaftsrecht für die Unternehmenspraxis. Es waren zweieinhalb harte Jahre mit fünfzehn Wochenstunden Studium neben dem Job. „Die Firma und ich haben uns die Zeit geteilt“, ergänzt Glocker, der zur Fortbildung einen Tag pro Woche frei bekam.

Kraft und Ausdauer für solche Leistungen trainiert Glocker beim Radfahren.

Rund 7.000 Kilometer im Jahr kommen da zusammen. Auszeiten, um den Kopf wieder frei zu bekommen für die Arbeit, die äußerste Konzentration verlangt. Und Teamwork. Das Team hält dem Chef schon mal den Rücken frei, wenn er in die Pedale tritt. Im Sommer etwa. Dann wird er 50 und „beschenkt“ sich selbst mit einer Alpenüberquerung auf dem Mountainbike.

Belastbar muss er auch bei eiligen Anfragen sein. Wo juristische Probleme auftauchen, ist schnelle Hilfe gefragt. „Es gibt für alles eine Lösung“, weiß Glocker. Oft bedarf es eines Kompromisses, damit ein Geschäft zustande kommt. Stress? „Das Fahnden nach der Lösung kann sehr viel Spaß machen.“ Wie das sportlich ambitionierte Radeln.

Dann wird die Last zur Lust. „Mich wirft jedenfalls nichts mehr um“, schließt Glocker, Wörwags Mann nicht nur fürs Kleingedruckte.

Text: Jürgen Löhle

Fotos: Oliver Roggenbuck