Soko Münchingen: Ein Fall für das Wörwag-Prüflabor. Soko Münchingen

Soko Münchingen

Bei einem Fahrzeugbauteil stimmt etwas nicht mit dem Lack. Das Team der Chefermittlerin Gabriele Roth (Oben: Nicole Mühlich, Gabriele Roth, Pascal Zelfl ) geht auf Spurensuche.

Montag, acht Uhr. Gabriele Roth eilt aus dem Büro. In der Hand hält sie ein silbernes Kunststoffbauteil. Was entfernt an einen Propeller erinnert, ist in Wahrheit ein Stück eines Kühlergrills.

Der Kunde, ein Automobilhersteller, hat die Lackierung reklamiert. Jetzt gilt es schnell die Ursache zu finden. Denn beim Zulieferer, der das Bauteil produziert, stehen die Bänder. Die Spurensuche beginnt.

Roth stellt das Ermittlerteam zusammen. Nicole Mühlich und Pascal Zelfl werden den Fall analysieren und sie auf dem Laufenden halten. Erster Schritt: zusägen.

Um das Corpus Delicti mit den Hightech-Apparaten des Prüflabors zu untersuchen, braucht es zunächst eine handliche Probe, ungefähr vier auf zehn Zentimeter groß. „Pascal, übernimmst du?“, richtet sich die Laborleiterin an Zelfl. Der nickt und marschiert schnurstracks den langen weißen Flur entlang.

Corpus Delicti: Das silbergraue Zierelement

Corpus Delicti: Das silbergraue Zierelement eines Kühlergrills wird zur Untersuchung präpariert.

Erst im Dezember 2017 ist das Prüflabor (ATL) aus Zuffenhausen ins rund fünf Kilometer entfernte Korntal-Münchingen umgezogen.

Inmitten der Produktion im Stammwerk wurde es zu eng. Das neue Domizil gefällt mit hellen, großzügigen Büro- und Laborräumen. Allerdings dient es nur als Zwischenstation. Vom Fenster ihres Büros aus sieht Roth auf der anderen Seite der Straße ein neues Wörwag-Werk entstehen. Im Spätsommer 2019 soll es fertig sein. Dort wird sich auch das Prüflabor auf Dauer einrichten.

Die Abteilung ist von der Deutschen Akkreditierungsstelle (DAkkS) nach der Norm DIN EN ISO/IEC 17025 für Prüf- und Kalibrierlabore zertifiziert. Die DAkkS bescheinigt dem Wörwag-Labor die Kompetenz, Material und Verfahren nach Kundenspezifikation zu prüfen und zu bewerten. Genau darum geht es im akuten Fall.

Zelfl hat mittlerweile die Probe aus dem Bauteil gesägt und mit dem Ritzstichel, der einem Teppichmesser ähnelt, zweimal eingeschnitten. Die Schnitte sind jeweils einen Millimeter tief und kreuzen sich. Jetzt geht es an die eigentliche Ermittlung. Zu deren Dokumentation erhält die Probe eine ID-Nummer, die im Computer hinterlegt wird.

Die insgesamt elf Mitglieder des Teams Roth unterziehen Oberflächen und Beschichtungen technischer Produkte in Münchingen den verschiedensten mechanischen, chemischen und optischen Prüfungen – vom Druckwassertest über die Messung der Resistenz gegen Salzsprühnebel, Chemikalien oder Hydrolyse bis zur Mikroskopie.

Neben Reklamationen nimmt sich die Spurensicherung neue Lacke vor, ehe sie zur Freigabe an den Kunden gehen. Ein siebenköpfiges zweites Team bearbeitet interne Aufträge der Entwicklungsabteilungen.

Die Fahnder hegen einen Verdacht. Ob er zutrifft, wird die Analyse zeigen. Jetzt ist Präzisionsarbeit gefragt.

Druckwassertest

Mühlich schaut herein: „Sind wir bereit zum HDW?“ „Ja.“ Zelfl reicht ihr die präparierte Probe. HDW steht für Hochdruckwassertest.

„Die Abkürzung ist eigentlich falsch, weil wir bei dem Test nicht mit Hochdruck, sondern nur mit ungefähr 67 Bar arbeiten. Trotzdem hält sie sich“, erklärt die Lacklaborantin. Sie hat bei Wörwag gelernt und ist jetzt schon seit 18 Jahren im Unternehmen.

Zwei Türen weiter betritt sie Raum 1.02. Hier findet der Druckwassertest statt. Drei Kabinen stehen zur Wahl. Mühlich öffnet die Tür der ersten und spannt die Probe in zwei Halterungen. Im vorgegebenen Abstand richtet sie die Wasserdüse auf die Mitte des Testobjekts aus. Tür zu, Wasser marsch. Der 60 Grad heiße Strahl trifft genau auf einen der beiden Schnitte. „Mal sehen, wie die einzelnen Schichten reagieren.“ Mühlich hegt einen Verdacht, hält sich aber noch bedeckt. Zeit zur Lagebesprechung.

Schon auf dem Gang trifft sie Roth und Zelfl. Die drei stecken die Köpfe zusammen, begutachten das Testergebnis. Die beiden Kollegen nicken. Sie scheinen Mühlichs Verdacht zu teilen. „Nach der Mi­kroskopie haben wir Klarheit.

Pascal, dein Part!“, delegiert Roth und übergibt Zelfl die Probe. Der setzt sich damit ans Mikroskop.

Die Chefermittlerin und Mühlich gönnen sich derweil eine produktive Zigarettenpause. Roth hat das Prüflabor mit aufgebaut. Dreißig Jahre ist die 64-Jährige nun dabei. Offiziell hätte die gelernte Chemie- und Lacklaborantin 2017 nach 45 Berufsjahren in Rente gehen können. „Aber ich habe so viel Spaß an der Arbeit und die Kollegen sind so nett, da habe ich noch zwei Jahre drangehängt.“

Alle Testerge­bnisse laufen über ihren Schreibtisch. Ihrem erfahrenen Ermittlerinstinkt entgeht kein noch so kleines Detail.

Mikroskopie

Feinarbeit: Zur Mikroskopie werden 30 Mikrometer dünne Späne der Probe auf einen Objektträger geklebt.

Raum 1.05, Mikroskopie. Heruntergelassene Jalousien. Zelfl dreht das Mikroskop scharf. Auf dem Objektträger ein ausgestanztes Stück der Probe.

Die Draufsicht erscheint auf dem Bildschirm des angeschlossenen Rechners. „Ja, hier sieht man es.“ Zelfl, ebenfalls als Lacklaborant ausgebildet, deutet mit dem Zeigefinger auf den Monitor. „Unsere Vermutung dürfte sich bestätigen. Aber eindeutig sehen wir es erst im Querschnitt.“

Dazu hobelt er mit dem Mikrotom, einem Präzisionsgerät zur Herstellung feinster Schnitte, einen hauchdünnen Span von der Probe. Diesen fixiert er mit Kristallklebeband auf einem Objektträger und legt ihn unter das Objektiv.

Die Untersuchung der Oberfläche bestätigt den Verdacht.

Mikroskopaufnahmen

Vergrößerung: Zunächst betrachtet das Team Roth den Lackauftrag in der Draufsicht.

„Da haben wir es.“ Zelfl erläutert die Schichten, die sich am Bildschirm an ihren Farbtönen und Strukturen unterscheiden lassen.

Ihre Dicke bestimmt er gleich mit. Die unterste Schicht bildet das Substrat, also das lackierte Material, in diesem Fall der Kunststoff PP/EPDM. Darüber die Lackfolge Primer (15 Mikrometer), Basislack (22 Mikrometer), Klarlack (35 Mikrometer).

„Unter dem Primer sehen wir eindeutig eine Delamination im Kunststoff“, konstatiert er. Zu Deutsch: Der Kunststoff bricht ohne dass sich die Lackschichten von Ihm lösen.

Warum? „Klassischer Substratfehler. Durch Prozessschwankungen oder Umwelteinflüsse im Herstellungsprozess der Bauteile können sich Fehlstellen bilden. Diese werden durch den Druck und die Temperatur beim HDW so sehr belastet, dass das Substrat in sich bricht.“

Schichtdicken und Fehlerquelle

Ergebnis: Im Querschnitt der Probe lassen sich am Bildschirm Schichtdicken und Fehlerquelle ermitteln.

Fazit: Der Zulieferer muss seine Prozesse überprüfen.

Zelfl dokumentiert seine Erkenntnis, speichert die Mikroskopaufnahmen unter der ID-Nummer der Probe. Bevor der Prüfbericht als PDF-Datei inklusive Beweisfotos an den Kunden geht, muss ihn Roth freigeben. In ihrem Büro lässt sie sich von Zelfl darlegen, wie er bei der Analyse vorgegangen ist und welche Schlüsse er daraus zieht. „Wie wir vermutet hatten“, lächelt sie. „Gute Arbeit!“ Fall gelöst.

„Gute Arbeit!“ Fall gelöst.
Danke Soko Münchingen! ?

Text: Thorsten Schönfeld

Fotos: Florian Imberger