Jürgen Ortmeier zum Hören: YouTube | Soundcloud | Homepage
Als studierter Chemieingenieur kommt Ortmeier 1984 zu Wörwag. Drei Jahre später ist er in der Entwicklung der Kunststofflacke eine treibende Kraft: „Ich durfte schnell Verantwortung übernehmen.“
1987 folgen Hydro-Grundierungen, Wörwag bringt die umweltfreundlichen Produkte zur Serienreife. Anfang der Neunziger werden Kunststoffanbauteile zunehmend in Wagenfarbe lackiert. Auch hier zählt Wörwag zu den Pionieren, was nicht zuletzt der Zuschlag der Lackierung des Smarts untermauert. Ein Meilenstein. Das Lacksystem ist nach wie vor im Einsatz.
Mit der elektrostatischen Lackierung folgt eine weitere Innovation. Die Umwälzungen reißen nicht ab. „Immer wieder erfindet sich die Firma neu, weil Anforderungen, Randbedingungen und Technik sich ändern“, bestätigt Ortmeier.
Ihm gefällt es. Schließlich hat er sein halbes Leben bei Wörwag verbracht. Unterdessen wuchs der 180 Mitarbeiter starke Familienbetrieb zu einem internationalen Unternehmen mit fast tausend Beschäftigten heran.
Um Stücke wie Eric Claptons „Wonderful Tonight“ fehlerfrei zu spielen, muss man viele Übungsabende investieren. Dazu fehlt Ortmeier 2003 die Zeit. Ein ganzes Quartal lang brennt in den Laboren, Lackierkabinen und Büros in Zuffenhausen jede Woche an sieben Tagen rund um die Uhr das Licht.
Als die ersten Kunden auf elektrostatische Lackierverfahren für Basislacke umstellten, funktionierte das Wörwag-System plötzlich nicht mehr.
Die Lage ist ernst. „Die ganze Firma schaute auf uns“, erinnert sich Ortmeier
Das 15-köpfige Team musste sich dieser Herkulesaufgabe stellen.
Neue Rezepturen, Lackansätze, Applikationen und Tests in einer endlos erscheinenden Schleife.
Die Beharrlichkeit zahlt sich aus, nach drei Monaten gibt der Kunde den Lack frei. Ortmeier: „Damit haben wir einer neuen Generation an Wasserlacken den Boden bereitet.“
Alle hätten mitgezogen, auf Wochenenden verzichtet und sich unglaublich engagiert. Ein Paradebeispiel des Wörwag-Spirits, findet Ortmeier. Eine Familie eben.
Immer eine Lösung suchen, stets das bestmögliche Ergebnis präsentieren – seiner Frau, die ihm gern beim Gitarrespielen zuhört, aber auch den Kunden. Ihnen bietet Wörwag ein Sorglospaket an: „Bei uns kaufen sie nicht nur eine Dose Lack, sondern die Lackentwicklung.
Wir verkaufen die Anwendung dazu. Wir zeigen, wie lackiert wird. Wir helfen Zulieferern bei Diskussionen mit dem Automobilhersteller. Wir sind da, wenn Not ist.“ Dazu fliegt Ortmeier auch von einem Tag auf den anderen in die USA oder nach China. Der direkte Kontakt ist ihm wichtig.
Wörwag versuche, besser zu sein. „Wenn wir dasselbe anbieten wie die Großen, braucht man uns nicht“, erklärt der Perfektionist, als er eine seiner neun Gitarren zeigt.
Sie wurde nach seinen Wünschen gefertigt: Decke aus Haselfichte, Boden und Zargen aus Rio-Palisander, 12-Bund-Bauweise, B-Band-Tonabnehmer, Freewheel-Mechanik. Im Hals ist der Name Jürgen eingelegt. Ein Leuchten huscht über sein Gesicht. Dann lässt er die ersten Akkorde erklingen.
Das Fingerspitzengefühl hört man bei jedem Ton. Jeder Griff sitzt. Mit 13 hat Ortmeier angefangen, um den Mädchen zu imponieren. Seitdem begleitet ihn die Musik: „Mein zweites Leben.“ Jeden Abend verzieht er sich in sein Musikzimmer. Seit dreißig Jahren sieht er kaum noch fern.
Auf Geschäftsreisen hat er zum leisen Üben im Hotel oft eine „Silent Guitar“ mit Kopfhörer im Handgepäck. Herzblut fürs Hobby und für den Beruf. Manchmal schreibt er Arrangements, nimmt seine Musik auf, füttert den YouTube-Kanal oder die Soundcloud, engagiert sich in Fachforen. Einmal im Jahr steuert er einen Song zu einer Fingerstyler-CD bei.
Wenn Ortmeier etwas macht, dann richtig. Deshalb stellt er sich oft noch selbst ins Labor.
Sobald der Chemiker in ihm erwacht, steigt das Fieber: „Es macht mir Spaß, über Formulierungen zu diskutieren.“ Pigmente, Lösemittel, Additive, Verlauf, Haftung, Beständigkeit und, und, und. Ein riesiger Baukasten mit beliebig vielen Möglichkeiten. „Die Kunst und unser Knowhow besteht darin herauszufinden, mit welcher Stellschraube wir den größten Effekt erzielen.“
Ob in der Musik oder in der Lackentwicklung, ohne gesunde Neugier geht nichts. Ortmeier ist einer, der weit vorausdenkt. Die leichten Multisubstrat-Karosserien insbesondere der E-Autos erfordern immer wieder neue Lacke und Lackierverfahren.
Die Prozesse werden sich ändern. Ortmeier ist sicher, dass Kunststoffteile zunehmend erst nach der Montage am Fahrzeug lackiert werden. Dazu muss man bislang getrennte Lackiervorgänge harmonisieren. Heutige Blechkarosserien trocknen bei rund 140 Grad, Kunststoffe bei 80 oder 90. „Systeme, die eine gemeinsame Lackierung ermöglichen, haben wir bereits“, verrät Ortmeier.
Auch die Digitalisierung wird rasant voranschreiten.
Ortmeier prognostiziert, dass „wir jede Charge unserer Lacke noch viel besser mit Daten beschreiben und dieses Wissen an die Kunden weitergeben müssen“.
Denn der Verwender eines Lacks wird seine Maschinen mit immer mehr Informationen füttern, damit die Lackierung jedes Bauteils perfekt gelingt.
Die Innovation geht weiter, der Qualitätsanspruch bleibt. Übrigens: Ortmeiers zweites großes Hobby ist die Fotografie.
Auch hier lassen sich viele Parallelen zu Musik und Lacken ziehen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Text: Michael Thiem
Fotos: Toby Binder