Als Schmidt vor fünf Jahren den Vorruhestand antrat, schloss er sich dem 30-köpfigen Modellbauteam in Hamburgs Miniatur-Wunderland an.
„Wenn man weiß, wie viel Arbeit in diesen Modellen steckt, muss man sie einfach lieben“, sagt er und blickt versonnen über die roten, orangefarbenen, gelben und violetten Holzhäuschen. Dahinter erheben sich sanft die grünen Hügel der Toskana. Das Gras aus Kunststoff ist elektrostatisch geladen, damit die Halme wie in echt hochstehen.
Rom, die ligurische Küste, Venedig und die Toskana markieren vier Höhepunkte des neuen Abschnitts, der im September eröffnet wurde. Die kleine Wunderwelt, in die er sich einfügt, lockt jährlich 1,2 Millionen Besucher aus aller Herren Länder in die Hamburger Speicherstadt. Auf 1300 Quadratmetern ist in bislang 580 000 Arbeitsstunden ein einmaliger Mikrokosmos entstanden, der immer weiter wächst. „Wir tun alles dafür, dass der Besucher die Ausstellung lächelnd betritt und begeistert verlässt“, verspricht Mitgründer Frederik Braun. Das Konzept geht seit der Eröffnung 2001 auf. In der Liste der meistbesuchten Dauerausstellungen Europas belegt das Miniatur-Wunderland Hamburg Rang sechs.
In der Arena lauert der Löwe
Was wäre Rom ohne Kolosseum? Teresa Liening baut das größte Amphitheater aller Zeiten nach. Genau genommen nur die Hälfte davon. Denn das Modell ist aufgeschnitten, damit die Besucher später ins Innere schauen können. Dort wartet bereits ein kleiner Löwe auf einen Mini-Verurteilten aus Plastik. „Für erste Fotos“, schmunzelt Liening, die gerade mit neuen Bauteilen aus der Fräswerkstatt kommt. Die Wände sind hohl, um die aufwendige Verkabelung aufzunehmen. Unzählige Leuchtdioden sollen das Bauwerk aus der Antike in ein besonderes Licht tauchen. Weiß? Gelb? Weiß-Gelb? Über die Farbe wird noch verhandelt.
930 Züge auf 13 Kilometern
Neben den Details der Modellbauten tragen die 930 Züge mit insgesamt 10 000 Wagons zur Faszination bei. Die Gleislänge summiert sich auf dreizehn Kilometer. Bedient wird die Anlage über einen einsehbaren Leitstand mit 76 Monitoren. 46 Computer steuern die Modellbahn. Zur perfekten Kulisse gehören überdies 10 000 Autos, fast 300 davon bewegen sich wie von Geisterhand auf den Straßen. Sie blinken, beachten rote Ampeln, überholen, beschleunigen, geraten in tatsächlich messende und blitzende Radarfallen, werden von der Polizei angehalten und fahren zurück zur Ladestation, sobald der Akku zur Neige geht.
Zwanzig Mal in der Sekunde berechnet der Computer den Status jedes Fahrzeugs. Viele bewegen sich ohne programmiertes Ziel. So haben sie schon 1,4 Millionen Kilometer zurückgelegt. Kleine Magneten an den lenkbaren Vorderachsen führen die Autos. Ihren Weg finden sie über Drähte, die in die Fahrbahn eingelassen sind. Die Fahrzeuge weisen Scheinwerfer auf, Rückleuchten, Richtungs- und Warnblinker, Bremslichter, Blaulichtvarianten, Frontblitzer, Nebelscheinwerfer, Innenlicht und sogar Flutlichtstrahler.
Flughafen setzt technische Maßstäbe
„Einer unserer Grundsätze lautet, uns jeder technischen Herausforderung selbst dann zu stellen, wenn sie anfangs aussichtslos erscheint“, erklärt Gerrit Braun, der die Miniaturwelt zusammen mit seinem Zwillingsbruder Frederik erschuf. „Mit dieser Einstellung haben wir immer wieder technische Lösungen entwickelt, die den Besucher staunen lassen.“
Dies trifft insbesondere auf den Flughafen zu, das bisher anspruchsvollste Projekt. In 150 000 Arbeitsstunden entstand binnen sechs Jahren der Nachbau des „Hamburg Airport“. Glanzpunkt ist die Simulation von Starts und Landungen im Minutentakt. Dass sich manchmal zwischen eine Boeing 757-300 und einen A380 eine überdimensionierte Hummel mogelt, gehört zu den von manchen Modellbauern missbilligten, aber durchaus charmanten Note der Hamburger Modellbauer.
Streben nach Perfektion
Einer der Perfektionisten ist Jens Körner. Er kümmert sich seit 2003 um alles, was Räder hat. „Eine gewisse Verrücktheit, gepaart mit Begeisterung, braucht man für den Job“, meint er. Viele der Fahrzeuge stammen komplett von ihm und seinen Kollegen. Auch die Straßenkehrmaschinen, die in Rom in großer Zahl unterwegs sind. „Wir haben vor Ort den Verkehr unter die Lupe genommen. Diese Maschinen fielen uns auf“, so Körner. Technische Details wie Blinkfrequenz oder Bürstenform sind hier ebenso wichtig wie Farben und Aufdrucke. „Perfektion ist, wenn man ganz nah herangehen kann, und dann überlegt, ob es echt ist oder ein Modell.“
Im Wunderland dauert der Tag eine Viertelstunde. In diesem Takt wird es dunkel und wieder hell. Die Nacht belebt eine funkelnde Kulisse aus 335 000 LEDs. Ideal für spektakuläre Einsätze. In der Fantasiestadt Knuffingen rückt alle zehn Minuten die Feuerwehr aus, mit bis zu 34 Fahrzeugen gleichzeitig. Stets werden die Brände zuverlässig gelöscht, nur der Feuerteufel entwischt regelmäßig. So brannte das Knuffinger Schloss in den sechzehn Jahren seiner Existenz mehr als 700 000 Mal.
Weitere Länder in Planung
Auf den Modellbauer Schmidt warten in Riomaggiore noch zahlreiche Details wie Balkone, Wäscheleinen, Möbel, Gardinen und viele liebevoll platzierte Figuren. Schließlich können die Besucher später in viele Zimmer hineinschauen. Im nächsten Saal entsteht der Vesuv. In Form von dauerfeuchtem Knetsand, einer passenden Lichtstimmung und Toneffekten soll der Vulkan später ausbrechen und spektakulär glühende Lava ins Tal schicken. Keine Frage: Die Arbeit geht Schmidt und Kollegen auch künftig nicht aus. Die Abschnitte Frankreich, England und Australien sind schon in der Feinplanung oder bereits im Bau. Auch in Hamburg gilt die Devise des Modellbaus: Das Werkeln ist die Hauptsache. Daher darf die Anlage nie fertig werden. Niemals.
Großer Spaß in Mini-Erde
Das 2001 eröffnete Miniatur-Wunderland in der Hamburger Speicherstadt ist die größte Modelleisenbahn der Welt. Auf 6800 Quadratmetern reisen die Besucher durch Mitteldeutschland, Bayern, Hamburg, Österreich, die Schweiz, USA, Italien und Skandinavien.
Die Ausstellung ist täglich von 9.30 bis mindestens 18 Uhr geöffnet. An ausgewählten Tagen, am Wochenende und in den Ferien wird die Öffnungszeit verlängert.
Miniatur Wunderland Hamburg
Kehrwieder 2, Block D, 20457 Hamburg
Telefon +49 40 3006800
www.miniatur-wunderland.de
Text: Michael Thiem
Fotos: Julia Marie Werner