In San Luis Potosí betreut Projektmanager Giuseppe Polito den Aufbau der mexikanischen Wörwag-Tochter. Land in Sicht

Land in Sicht

Pioniere müssen abenteuerlustig sein. Und furchtlos. Wie das Team, mit dem Wörwag in Mexiko Neuland betritt. Einer von ihnen ist Projektmanager Giuseppe Polito. Seine erste Reise nach San Luis Potosí wird zur erfolgreichen Entdeckertour.

Mexiko ist bunt, lebenslustig, feurig. Wie das Land, so die Küche. Giuseppe Polito hält inne. Seine Abenteuerlust endet, wo der Geschmack versagt und der Mund brennt. Im Restaurant „El Pozole“ in San Luis Potosí gibt es nicht nur den gleichnamigen Eintopf, sondern auch Antojitos – pikante Snacks.

Polito, gebürtiger Italiener, ist für Wörwag nach Mexiko gereist, um beim Aufbau der Landesgesellschaft zu helfen. Jetzt taucht er einen Taco in eine der vier Moles auf dem Tisch. Das Abenteuer des Projektmanagers beginnt heftig. Die Dipvarianten sind extrem scharf. Nicht nur im Restaurant gilt: Manches muss man einfach probieren.

Kollege Rob Duncan aus den USA (links) prüft den ersten lackierten Außenspiegel.

Gutes Ergebnis: Kollege Rob Duncan aus den USA (links) prüft den ersten lackierten Außenspiegel.

Heute Morgen standen sich die drei Kollegen im Hotel erstmals gegenüber. Nach gut 26 Stunden war Polito am Vorabend von Stuttgart über Paris und Mexiko-Stadt in San Luis Potosí eingetroffen. Gemeinsam mit Duncan und García leistet er hier Pionierarbeit – bei Kunden, Dienstleistern und beim Aufbau des Betriebs.

Der erste Meilenstein war die Eröffnung eines Büros. Es befindet sich in einem Etagenhaus auf einem weitläufigen Gelände im Gewerbepark „Integra“ an der Eje (Achse) 110, knapp zehn Kilometer vom Ortskern nach Südosten.

Als der Wachmann die große Stahltür öffnet, zeigt er sich überrascht. „Wohin wollen Sie? Zu Wörwag? Da muss ich schauen“, entgegnet er freundlich. Besucher hat Wörwags jüngste Tochter noch selten – obwohl zwei Firmenschilder an der Außenmauer bestätigen, dass die Adresse stimmt.

Keimzelle auf 16 Quadratmetern

Die Geschäftsstelle gibt es seit Anfang des Jahres. Noch ist sie auf ihren kaum 16 Quadratmetern eher Keimzelle denn Schaltzentrale. Der Eckschreibtisch wirkt für den Raum zu groß, der Einbauschrank steht noch fast leer. Fax, Telefon, Netzwerkkabel, Büromaterial.

Ein einziger Anschluss. Er gehört José Saldivia. Der Leiter der Geschäftsstelle weilt gerade in Chile. Dort hat er zuletzt gearbeitet und muss vor dem Umzug nach Mexiko diverse Ämter aufsuchen. Bis der Laden läuft, sind allerlei Hürden zu nehmen. Allen ist klar: Vor ihnen liegt mehr Arbeit als hinter ihnen.

„In den neuen Standort investieren wir viel Zeit. Das ist sehr spannend“, bestätigt Duncan.

Mit Logistikpartner Reis werden Einzelheiten der Zusammenarbeit geregelt. Er sorgt dafür, dass die Produkte von Mexiko aus pünktlich beim Kunden eintreffen.

Gut geplant: Mit Logistikpartner Reis werden Einzelheiten der Zusammenarbeit geregelt. Er sorgt dafür, dass die Produkte von Mexiko aus pünktlich beim Kunden eintreffen.

Ein Schlüssel zum Erfolg sind die richtigen Partner, darunter der Logistiker Reis, knapp sieben Kilometer von Wörwag Mexiko entfernt.

Reis organisiert den Vertrieb der Produkte, die noch überwiegend aus dem Werk Lafayette in den USA stammen. Die 2004 gegründete Logistikfirma betreibt in Zentralmexiko neun Lagerhallen und beschäftigt 220 Mitarbeiter.

Geschäftsführer Alejandro Reynoso freut sich über den Besuch von Wörwag. Polito: „Wir brauchen diesen Logistikdienstleister, um unsere Produkte von Mexiko aus zu vertreiben.“ Und Duncan ergänzt: „Reis verfügt über viel Erfahrung auch mit unseren Kunden.“

Die Weichen bei Wörwag stehen in Mexiko auf Wachstum, die Lagerfläche lässt sich in Zukunft erweitern, etwa zur Aufnahme von Material für die künftige Produktion.

Auch Polito ist bereit. Der 37-Jährige beherrscht die Rolle des Pioniers. Schon 2008 half er, die Wörwag-Fabrik im chinesischen Langfang aufzubauen.

Der gelernte Chemiewerker, Töner, Industriemeister und Laborant gehört mittlerweile zu denen, die bei länderübergreifenden Projekten die Fäden ziehen. Mitte 2011 wechselte er als Regionalmanager in die technische Zentrale, aus der vor eineinhalb Jahren das Internationale Projektmanagement hervorging.

Als er sich auf die Fahrt zum Automobilzulieferer Samvardhana Motherson Reflectec (SMR) macht, hat er neben Laptop, Schutzbrille und Sicherheitsschuhen eine Packung Kekse im Gepäck: „Man weiß ja nie, wie lange es dauert.“ Durch die Scheiben des Besprechungsraums bei SMR ist die Lackieranlage zu sehen.

Polito und Duncan nehmen die ersten Außenspiegelschalen im Farbton Mountaingrey unter die Lupe. „Das sieht sehr gut aus“, urteilt der Projektmanager. Dank engem Kontakt zum deutschen Hersteller wurde das Substrat bereits in Stuttgart geprüft, einige Parameter der Lackierung gleich dort eingestellt. Davon profitieren auch Wörwag und SMR. „In Mexiko wollen wir uns nur noch um Feinheiten kümmern“, erklärt Polito.

„Der direkte Draht zu den Entscheidern ist das A und O“, meint Polito. „Letztlich arbeiten hier Menschen zusammen.“

Nahum García ist bei Wörwag der erste Mexikaner. Für ihn beginnt ein neues Leben.

Nahum García ist bei Wörwag der erste Mexikaner. Für ihn beginnt ein neues Leben.

Dass tags darauf ein besonderer Termin ansteht, ist den Wörwag-Kollegen schon beim Frühstück anzusehen: weißes Hemd, dunkle Hose, Laptop aufgeladen, Notizen, Checkliste.

Damit das Hemd weiß bleibt, gibt es heute weder vor Ahornsirup triefende Pancakes noch Rührei und Würstchen mit Tomatensoße. Um die wichtigste Station der Geschäftsreise pünktlich zu erreichen, planen Polito und Duncan zwei Stunden Puffer ein. Nahum García setzt sich ans Steuer. Den Weg zu Plastic Omnium kennt er auswendig. Seit Mitte März bei Wörwag, arbeitet der 28-Jährige meist am Standort des Kunden. Präsenz gehört in diesem Fall zum Service. Allein deswegen zog García aus dem zwei Autostunden entfernten Calvillo nach San Luis Potosí.

„Bei Wörwag fühle ich mich wohl“, sagt Nahum García. „Ich muss keine Uniform tragen, und die Kollegen sind sehr nett.“

Auf Erfolgstour

Bei Plastic Omnium steuert García das Wartezimmer an. Natürlich sind sie zu früh. Bis zu den abschließenden Vertragsverhandlungen bleiben anderthalb Stunden. Der Besprechungsraum im ersten Stock ist abgedunkelt, damit die Folien, die Polito an die Wand wirft, besser zu lesen sind.

Es ist kühl, knapp 20 Grad, die Atmosphäre dennoch freundlich. Schnell löst sich die Anspannung. Fast achtzig Punkte werden besprochen: Freimengen, gesetzliche Vorgaben, Randbedingungen, Fristen, Zertifizierung, Ansprechpartner. Was sich vorab regeln lässt, wird fixiert. „Auch hier kommt es auf Teamwork an“, resümiert Polito und erntet Zustimmung. Alle Nachfragen können er und Duncan zur Zufriedenheit des Kunden beantworten.

Nach knapp zwei Stunden unterzeichnet Brian Crawford, Chefeinkäufer bei Plastic Omnium in Nordamerika, das Dokument, das bereits die Signatur der Wörwag-Geschäftsführer Dr. Peter Moritz und Dr. Achim Gast trägt. „Dieser Abschluss ist ein Meilenstein beim Aufbau unserer Landesgesellschaft“, atmet Polito durch.

Mit einem Abendessen im „La Mansió“ klingt der für beide Seiten produktive Tag bei Steak, Fisch und Bier aus. Kurz vor dem Schlafen schickt Polito aus dem Hotelzimmer eine Erfolgsmeldung nach Deutschland. Dann löscht er das Licht. ¡Buenas noches!

Giuseppe Polito, Rob Duncan und Nahum García in der Bar.

Feierabend mit Weitblick: Giuseppe Polito, Rob Duncan und Nahum García in der Bar.

Am nächsten Tag lässt sich Polito im Taxi ins Zentrum von San Luis Potosí fahren. Bis zum Weiterflug an den Produktionsstandort Lafayette hat er etwas Freizeit.

Für seine beiden Söhne sucht er Mitbringsel. Er kauft zwei Mützen. Anschließend trifft er sich mit Duncan und García in „La Agustina“, einer Bar im ersten Stock mit Blick auf die Plaza del Carmen, das pulsierende Herz der Stadt.

Die Stimmung ist gut, das Projektteam aus Mexiko, Deutschland und den USA hat sich bewährt. „Es ist ein tolles Gefühl, wenn man das Wachstum der Firma vorantreiben kann“, strahlt Duncan und prostet den Kollegen zu. „Wir gründen hier einen neuen Zweig der Wörwag-Familie.“

Die Blicke folgen dem Sonnenuntergang. Aus den Straßen dringen Musik, tobende Kinder und hupende Autos ans Ohr. Wieder stehen Moles und Tacos auf dem Tisch. Diesmal greift Polito beherzt zu. An manches gewöhnt man sich ziemlich schnell.

San Luis Potosí liegt rund 400 Kilometer nördlich von Mexiko-Stadt auf 1.850 Metern über Seehöhe im sogenannten goldenen Dreieck zwischen Monterrey und Guadalajara. In der Metropolregion leben fast eine Million Menschen. Rund 600 Unternehmen sind hier ansässig, darunter Thyssenkrupp, Daimler, Continental, Audi, BMW. Voraussichtlich ab 2019 werden die Münchner in einem neuen Werk jährlich 150.000 Autos bauen.

„In Mexiko können wir uns nur durch Wachstum behaupten.“

José Saldivias Mission in San Luis Potosí heißt Wachstum.

José Saldivias Mission in San Luis Potosí heißt Wachstum.

Herr Saldivia, Sie sind verheiratet, Vater dreier Kinder und haben 15 Jahre rund um den Globus für einen Chemiekonzern gearbeitet. Weshalb suchten Sie eine neue Aufgabe?
Gesucht habe ich nicht. Trotzdem war ich gleich Feuer und Flamme, als Wörwag auf mich zukam. Mich hat beeindruckt, wie enthusiastisch, professionell und zielstrebig die Firma einen neuen Betrieb aufbaut. Von Anfang an war ich mir sicher, dass es spannend würde.

Demnach fiel Ihnen die Entscheidung leicht?
Ja. Hier bei null anzufangen, finde ich besonders reizvoll. Ich möchte beim Erfolg dieses Teams dabei sein.

Der Aufbau beginnt gerade. Fühlen Sie sich wie ein Abenteurer, der täglich Neues entdeckt?
Am Anfang war das sicher so. Aber mir geht es hier sehr gut. Mexiko ist das erste Land, in dem ich mich als Argentinier sofort heimisch fühlte. Das liegt an der Sprache und der ähnlichen Kultur. Mexikaner und Argentinier haben viel gemeinsam. Es gibt aber auch Unterschiede. Das macht die Beziehung interessant.

Also sind Sie eher ein Pionier?
Vielleicht. Allerdings bin ich beim Aufbau nicht allein. Die Unterstützung durch die Kollegen in Deutschland und den USA ist großartig.

Wie wurden Sie in die Wörwag-Familie aufgenommen?
Unter anderem war ich drei Wochen in Stuttgart, wo man mich sehr herzlich empfing. Nie fühlte ich mich als Neuling. Alle waren nett und hilfsbereit. Dort habe ich mich in die strategische Ausrichtung und die Prozesse gründlich eingearbeitet. Jedes Unternehmen tickt anders, Familienbetriebe sowieso. Bei Wörwag stehen Vertrauen und das Gefühl der Zusammengehörigkeit hoch im Kurs. Jeder Mitarbeiter ist wichtig.

Was waren Ihre ersten Maßnahmen als General Manager in San Luis Potosí?
In Lateinamerika ist Mexiko der wichtigste Markt. Obwohl wir hier Neuland betraten, hatte das Internationale Projektmanagement schon viel Vorarbeit geleistet. Wichtig war, möglichst schnell die Rechtslage zu klären. Wir mussten auch rasch einen Entwickler finden, der den Kontakt zu den Kunden hält. Die US-Kollegen Mike Grandy und Rob Duncan haben mir bei der Suche nach Neukunden ebenso sehr geholfen wie Dewi Paino, der als Director Business International in Frankreich den Kunden Plastic Omnium betreut.

Ihr Fazit fällt also positiv aus?
Absolut. Alle wissen: In Mexiko können wir uns nur durch Wachstum behaupten. Mit harter Arbeit und einer klaren Strategie werden wir hier viel erreichen.

Worauf kommt es dabei am meisten an?
Wir kennen die Qualität unserer Produkte. Und unseren Service. Wenn wir unsere Kunden davon überzeugen, ist das die beste Referenz. Deshalb müssen wir Lieferanten finden, die diesen Weg mitgehen und uns helfen, Spitzenqualität zu bieten. Zudem müssen wir unser Team vergrößern.

Das heißt, Sie möchten im Büro nicht mehr lange der Einzige sein?
Nein. Ich gehe davon aus, dass ich bald in guter Gesellschaft bin.

Fotos: Toby Binder

Text: Michael Thiem