Die Flügelfarbe des blauen Himmelsfalters entsteht durch Nanostrukturen. Aus dem Farbkasten der Natur

Aus dem Farbkasten der Natur

Viele Schmetterlingsarten haben farbenfrohe, schillernde Flügel. Dieser Eindruck ergibt sich erst durch das Zusammenspiel von Licht und Oberflächenstruktur. Ein Besuch im Schmetterlingshaus.

Sie flattern durch die Luft – bunt, schillernd, zu Hunderten. Ihren Flug vorbei an Palmen, exotischen Blumen und Bananenblättern zu beobachten, macht schwindelig. Die hohe Luftfeuchte und die Hitze im Schmetterlingshaus des Mannheimer Luisenparks verstärken dieses Gefühl: Wer das Haus der bunten Falter betritt, lässt die gemäßigten Breiten hinter sich und steht plötzlich mitten in den Tropen.

Für Besucher ist das eine schweißtreibende Angelegenheit, aber sie lohnt sich. Denn Schmetterlinge sind schüchterne Schönheiten – in der Natur sind sie meist schon weg, bevor man sie genauer anschauen kann. Im Schmetterlingshaus bilden dreihundert von ihnen eine bunte Wohngemeinschaft. Zwanzig tropische Arten werden dort gehalten. Ihr Verbreitungsgebiet reicht von den Regenwäldern Afrikas und Asiens bis nach Südamerika. Die Farbvielfalt ist überwältigend.

Magisch anziehend

Ursula Jünger ist Diplom-Biologin, im Schmetterlingshaus arbeitet sie seit dessen Eröffnung im Jahr 1996. Tausende von Schmetterlingen hat sie seitdem beobachtet, ihren Garten zu Hause so angelegt, dass sich dort möglichst viele Falterarten wohlfühlen. Sie weiß, welchen Nektar das Tagpfauenauge bevorzugt und welche Farben den Zitronenfalter magisch anziehen. Natürlich kennt sie sich auch mit den tropischen Arten bestens aus, die im Schmetterlingshaus leben: „Manche stehen auf ein spezielles Aftershave, andere auf eine knallige Farbe. Für Falter sind Besucher, die bestimmte Gerüche verströmen oder bunte Hemden tragen, wie große wandelnde Blumen.“

Die farbenprächtigen Flügel der Tiere sind eine Anpassung an die üppige Flora und Fauna der Tropen. Je nach Lichteinfall und Blickwinkel ändert sich bei einigen Arten der Farbeindruck. Ein Effekt, der als Schillern bezeichnet wird. Doch wie entstehen diese Farbnuancen, das Schillern, das Leuchten? „Das Chitin, aus dem die Flügel bestehen, ist farblos“, erklärt Jünger. „Erst durch das Zusammenspiel mit dem Licht, das ein breites Farbspektrum enthält, erscheinen die Flügel bunt.“ Dabei wird zwischen Pigment- und Strukturfarben unterschieden.

Die Flügelfarbe des blauen Himmelsfalters entsteht durch Nanostrukturen.

Die Flügelfarbe des blauen Himmelsfalters entsteht durch Nanostrukturen.

Pigmente sind natürliche Farbstoffe, die Licht einer bestimmten Wellenlänge absorbieren.

Erscheint ein Flügel etwa Rot, dann absorbiert das Pigment alle Wellenlängen außer denen, die der Farbe Rot entsprechen. Werden alle Längen reflektiert, ergibt sich die Farbe Weiß. Die Pigmente sind im Chitin eingelagert. „Melanine zum Beispiel bewirken eine rötliche, braune oder schwarze Färbung“, so Jünger. Die Farbe Schwarz erfüllt einen weiteren Zweck: Sie absorbiert mehr Sonnenstrahlen als helle Farben und nimmt dadurch mehr Wärme auf.

Im Gegensatz zu den Pigmentfarben entstehen Strukturfarben dadurch, dass sich Licht an den Schuppen der Flügel, also an deren Nanostruktur, bricht. „Betrachtet man die Flügel unter dem Mikroskop, wird eine Struktur sichtbar, die an einen Tannenbaum erinnert“, sagt Jünger. Millionen winziger Schuppen sind wie Dachziegel angeordnet. Gerade 0,1 Millimeter lang und 0,05 Millimeter breit, weisen sie feine Rillen auf, an denen sich das Licht bricht.

Beim Falter bricht sich das Licht an den Flügelschuppen (hier unter dem Mikroskop).

Beim Falter bricht sich das Licht an den Flügelschuppen (hier unter dem Mikroskop).

So wird zum Beispiel das prächtige Schillern des in Südamerika lebenden blauen Himmelsfalters erzeugt.

„Die Schuppen kann man sich wie Etagen vorstellen“, meint Jünger. „Jede reflektiert das Licht anders.“ Ein Teil des einfallenden Lichts wird sofort zurückgestrahlt, der andere dringt tiefer in die Struktur ein. Die Lichtwellen überlagern und verstärken oder schwächen einander. Diesen Vorgang nennt man Interferenz. Mit dem Blickwinkel ändert sich der Farbeindruck. In der Natur ergeben sich die Farben der Flügel bei vielen Arten durch eine Kombination pigmentierter und strukturierter Schuppen. Vor einem farbigen Hintergrund wird das Schillern erzeugt. Das Blau des Himmelsfalters leuchtet so intensiv, weil sich das Licht an den Schüppchen seiner Flügel bricht. Pigmente sind nicht daran beteiligt.

Berühren verboten

Analog zum gemäßigten Klima unserer Breiten sind die hiesigen Schmetterlingsarten im Auftritt bei Weitem nicht so knallig wie ihre tropischen Verwandten. Doch auch sie sind bunt. „Für die intensiven Farben einiger Schmetterlinge gibt es mehrere Gründe. Der wichtigste ist die Partnerwahl. Die Falter wollen für das andere Geschlecht attraktiv sein und auf sich aufmerksam machen“, erläutert Jünger.

Manche Arten passen sich zur Tarnung an ihre Umwelt an, andere ähneln farblich einer Wespe, um Vögel abzuschrecken, die zu ihren Fressfeinden zählen. Auch der Mensch hat der einen oder anderen Art seinen Stempel aufgedrückt: Der Birkenspanner, ursprünglich weiß wie der Stamm des gleichnamigen Baums, ist heute dunkler als früher. Die Farbänderung ist eine Folge der Industrialisierung, die die Luft verschmutzt und damit die Birkenstämme dunkler werden lässt. „Die heutige Farbe des Birkenspanners ist eine Anpassung an veränderte Umweltbedingungen“, bestätigt Jünger.

Ob bunt und schillernd oder eher zurückhaltend, eines ist allen Schmetterlingsarten gemeinsam: Wer sie berührt, zerstört ihre Schuppen. Und damit die ganze Farbenpracht.

Entwicklung – Ein flatterhaftes Vorbild

Der orangefarbene Lack des Sportwagens, den sein Besitzer am Wörwag-Firmensitz in Zuffenhausen in der prallen Sonne abgestellt hat, leuchtet und glänzt. Je nach Perspektive wirkt die Farbe auf den Betrachter mal rötlich, mal eher gelb. „Der Farbeindruck hängt vom Winkel ab, in dem die Sonnenstrahlen auf den Wagen fallen“, erklärt Jürgen Ortmeier, Entwicklungsleiter bei Wörwag. „Es ist dasselbe Prinzip wie bei den Strukturfarben der Schmetterlinge.“

Für die Industrie ist die Natur wie ein gigantisches Testlabor. Im Laufe vieler Jahrtausende haben sich Flora und Fauna ihrem jeweiligen Lebensraum optimal angepasst und so ihren Fortbestand gesichert. Dass sich Forscher und Techniker die Lösungen der Biologie genau anschauen, wenn es um komplexe technische Aufgaben geht, liegt nahe. „Als Farben- und Lackhersteller können wir von der Natur viel lernen“, so Ortmeier. „Farben haben schon in der Pflanzen- und Tierwelt Signalcharakter, sie ziehen an, schrecken ab und wirken je nach Oberfläche und Lichtbrechung anders.“

Seit den sechziger Jahren forschen Wissenschaftler an der Schnittstelle zwischen Biologie und Technik: Die Bionik ist somit eine vergleichsweise junge Disziplin. Bionikern geht es weniger darum, die Natur nachzubauen, als von ihr zu lernen und daraus Schlüsse zu ziehen. Wie bei den Flügeln des Schmetterlings werden auch die Farbeffekte des Fahrzeuglacks durch Nanostrukturen hervorgerufen.

Nano bedeutet winzig. Die Schichtdicke solcher Strukturen liegt bei einem Zehntelmikrometer. Ein Mikrometer entspricht 0,001 Millimetern.

Je nach Einfallwinkel und Oberflächenstruktur wird das Licht anders reflektiert. Praktische Anwendung: Nanostrukturen ermöglichen schillernde Farben.

Fischsilber stand am Anfang

Bei Fahrzeugen besteht der Lack aus bis zu vier Schichten. „Farbgebend ist der Basislack“, sagt Herbert Kost, bei Wörwag verantwortlich für Farbe und Design. „Diese Lackschicht enthält die Farbpigmente und den Glimmer, der zum Perlglanzeffekt beiträgt.“ Natürlicher Glanz und Schimmer faszinieren die Menschen seit jeher.

Als ältestes Perlglanzpigment gilt das sogenannte Fischsilber, das ab dem 17. Jahrhundert aus den Schuppen der Weißfische, einer Karpfenart, gewonnen wurde. „Im Wasser wurden die Schuppen so lange zerrieben, bis sich der schimmernde Belag absetzte“, erläutert Kost. Der Aufwand war beträchtlich: Man brauchte hundert Tonnen Fisch, um zwei Kilogramm Fischsilber zu gewinnen. Es begann die Suche nach einer effizienteren Herstellungsweise.

Heute wird ein besonderer Rohstoff eingesetzt, um einen Perlglanzeffekt zu erzeugen. „Der Glimmer, den wir verwenden, kommt aus Indien. Das Mineral wird abgebaut, gereinigt, zerkleinert und mit einem Metalloxid, dem Titandioxid, beschichtet“, erklärt Ortmeier. Wie der Glimmer ist auch das Titandioxid transparent. Ein Teil des Lichts durchdringt die äußere Titandioxidschicht, der Rest wird reflektiert. Der Teil des Lichts, der eindringt, bricht sich an der Grenzschicht zum Glimmer.

Die Lichtwellen überlagern sich und verstärken oder schwächen einander dadurch ab. Dieses Phänomen, Interferenz genannt, führt wie beim Schmetterlingsflügel zum Schillern. Beim Lack spricht man auch vom Farbflop-Effekt. Ob das Licht an der Grenzschicht zwischen Glimmer und Titandioxid zurückstrahlt oder ungebrochen hindurchgeht, hängt vom Winkel ab, in dem es auf die Fläche fällt. Ist die Titandioxidschicht dünn, entsteht ein Silberweiß. Bei höherer Schichtdicke ergeben sich dunklere Interferenzfarben. Vom matten Perlmuttschimmer bis zum vollen Spektrum der Regenbogenfarben ist alles machbar.

Lack mit Farbflop-Effekt

Eine Struktur, die wie beim Schmetterling aus Schüppchen besteht und an Dachziegel erinnert, gibt es beim Fahrzeuglack zwar nicht. „Das Prinzip der Absorption und Reflexion der Lichtwellen ist aber dasselbe“, betont Ortmeier. Dass Ortmeier und Kost die Farbspiele der Natur besonders aufmerksam betrachten, versteht sich von selbst. Aus professionellem Interesse.

„Ich war schon oft im Schmetterlingshaus und finde Schmetterlinge faszinierend“, verrät Ortmeier. Auch Kost war in seinem Urlaub in Mittelamerika beeindruckt von der bunten Vielfalt der Schmetterlinge. Ganz so bunt, wie es die Natur mit Farben und Schillereffekt treibt, würde Kost es beim Fahrzeuglack aber nicht halten. Beim Auto ist der Farbflop zwar erwünscht, aber in Maßen. „Ihr Wagen muss Ihnen schließlich auch in zehn Jahren noch gefallen.“

Reinhard Kiefel ist Leiter Farbtonenwicklung bei Wörwag.

Reinhard Kiefel, Leiter Farbtonentwicklung

Reinhard Kiefel

begann seine Karriere im Unternehmen vor 18 Jahren als Farbmesstechniker und ist heute Leiter Farbtonentwicklung: „Wörwag bietet mir die Chance, eigene Ideen zu verwirklichen.“

Text: Christiane Wild-Raidt

Fotos: Gilles Mermet / Science Photo Library, Eye of Science / Science Photo Library, Wörwag, Mercedes, Jos Schmid